22. Okt 2009

Sittenporträt am Vorabend des ersten Weltkriegs

Kategorien: Filme

 

Mit einer langen Kamerafahrt über schwarz-weiße, gleißende Schneelandschaften beginnt „Das weiße Band. Eine deutsche Kindergeschichte„. Der neue Film von Michael Haneke wurde heuer in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. Schauplatz ist ein kleines, norddeutsches Dorf am Vorabend des Ersten Weltkriegs.

In die dörfliche Idylle bricht gleich zu Beginn der erste einer Reihe unheilvoller Zwischenfälle herein: der Reit-„Unfall“ des Dorfarztes. In weiterer Folge verschwinden Kinder und werden schwer misshandelt wiedergefunden, die Kohlernte wird mutwillig vernichtet und die Scheune des Barons geht eines Nachts in Flammen auf. Auch innerhalb der eigenen vier Wänden ist nicht alles zum Besten bestellt: Mit Psychoterror und Demütigungen versucht zum Beispiel der Pastor seine Kinder zu guten Menschen zu erziehen. Hierarchien, Gewalt und Erniedrigungen dominieren das dörfliche Miteinander.

Den einzigen Gegenpol zu den horriblen Vorgängen bildet die zart sprossende Liebe zwischen Eva, der naiv-unschuldigen Kinderfrau des Barons, und dem sensiblen Dorflehrer, gleichzeitig Erzähler der Geschichte. Dieser ist auch der einzige, der die unerklärlichen Taten zu hinterfragen beginnt.

Der Zuseher wird, wie in den meisten Filmen von Michael Haneke, nicht mit den Gewalttaten an sich konfrontiert, sondern nur mit deren Resultaten. So ist er gezwungen, die exzessiven Gewaltausbrüche mit seiner eigenen Vorstellungskraft zu rekonstruieren. Ganz Haneke-typisch dringt das Publikum in das Innerste der Protagonisten vor: Intim und eindringlich wird es auf die Abgründe der Gesellschaft ge- und gleichzeitig von den Taten abgestoßen. Haneke ist Voyeurismus in Reinform, und zwingt zugleich zur emotionalen Distanz. Das ist Gesellschaftskritik der eindringlichsten Prägung!

Geschrieben von: Sandra Bernhofer

Sittenporträt am Vorabend des ersten Weltkriegs
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